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Stolpersteinverlegung - Schloss Römershag am 27.10.2021

Stolpersteinverlegung 

Schloss Römershag am 27.10.2021

Ein Auszug aus unserem Beitrag zur Gedenkveranstaltung für Therese Wittekind und Julie Nordschuld.

Gegen das Vergessen

Ein ernster Anlass hat uns heute zusammengeführt. Er liegt bereits 81 Jahre zurück und hat uns dennoch eingeholt.
Als wir über das Schicksal der beiden Frauen erfuhren, waren meine Kolleginnen und Kollegen hier im Pflegheim sehr betroffen. Bisher gab es keine Hinweise auf Euthanasieopfer aus unserer Einrichtung. 
Das Pflegeheim Schloss Römershag hat ohne Zögern die Patenschaft für die beiden Gedenksteine übernommen. Wir sehen es als unsere Pflicht und Verantwortung immer wieder an das Unrecht von damals zu erinnern. 
Es heißt, dass eine Gesellschaft danach beurteilt werden kann, wie sie mit ihren Schwachen und Schutzbedürftigen umgeht. Diese Stolpersteine sind Zeugnis der furchtbaren Jahre von 1933 bis 1945 und Mahnmal für alle zukünftigen Generationen. Sie sollen uns dauerhaft auf die Gräuel dieser Zeit hinweisen.

Stolpersteine-Verlegung  Bild 01 Im Oktober 1939 verschärfte Adolf Hitler die sogenannte Rassenhygiene des NS-Regimes: 
Sein "Euthanasie"-Erlass wird zum Todesurteil für Hunderttausende psychisch kranke und behinderte 
Menschen. Darunter auch tausende Kinder.

                                            

Therese Wittekind und Julie Nordschild wurden 1940 aus der Pflege- und Heilanstalt Römershag nach Süddeutschland und kurz darauf nach Österreich deportiert, wo sie mit vielen anderen kranken und behinderten Menschen von den willigen Helfern des Nationalsozialismus ermordet wurden. Es hieß damals, man könne es deutschen Patienten nicht zumuten, mit jüdischen Kranken unter einem Dach zu leben. Ein grauenvoller Zynismus, machte man doch keinen Unterschied zwischen deutschen und nicht deutschen psychisch, seelisch und körperlich Kranken.
Wir werden im Anschluss an meine Worte noch mehr über die Biografien der beiden Frauen erfahren. Zuvor möchte ich, dass wir kurz innehalten und daran denken, wie es ihnen wohl ging.  Wir können nicht wissen, inwieweit sie in der Lage waren das zu verstehen, was mit ihnen geschieht. Aber ganz sicher hatten Sie ab einem gewissen Zeitpunkt furchtbare Angst.
Julie Nordschild lebte 1 ½ Jahre in Römershag und zuvor 32 Jahre in einer anderen Einrichtung in Werneck, Therese Wittekind kam 3 Monate vor ihrer Deportation nach Römershag. Sie hatten ihr gewohntes Umfeld verlassen müssen. Beide waren erst relativ kurze Zeit in Römershag, hatten sich wahrscheinlich gerade erst eingelebt oder waren im Begriff dies zu tun, als sie am 14.9.40 wieder herausgerissen wurden aus ihrem neuen Zuhause.
Wenn wir uns heute erinnern, dann anhand von Bildern, Denkmälern und Schriften. Es gibt nur noch sehr wenige Überlebende und Zeitzeugen. Deshalb braucht es unbedingt Projekte wie die Verlegung von Stolpersteinen und Denk-Ort Deportationen.
Bemühen wir jedoch für einen Augenblick unsere Vorstellungskraft. Dies muss erlaubt sein, damit uns diese Bilder eines düsteren Gestern in unserer schnelllebigen Zeit erreichen. Unsere Phantasie muss sie hinzudenken, jene andere Atmosphäre einer von Gewalttätigkeit und Entsetzen vergifteten Luft. Das knallen der Stiefel auf dem Pflaster, das Schluchzen der Wehr- und Hilflosen, die herrischen Stimmen in deutscher Sprache von Menschen die sich wie Bestien benahmen, weil man sie gelehrt hat, Ihre Opfer seien keine Menschen ober hätten keinen Nutzen mehr für die Gesellschaft, seien unwertes Leben.
Was haben Therese Wittekind und Julie Nordschild auf ihrer Reise in den Tot erlebt und gefühlt? 
… Was passiert mit mir, wo komme ich jetzt hin, warum sind alle so streng und böse zu uns, wieso sind wir in Zügen mit hunderten Anderen Weinenden, Schrei enden eingesperrt? Wir haben Angst und Hunger und Durst, niemand reicht uns unsere Medizin, keine Hand streicht über unsere Stirn, keine tröstende Stimme erreicht unser Ohr………wir können davon ausgehen, dass dies so war…

Die Gegenwart

Die Gegenwart gibt uns Mut und Zuversicht, wenn man sieht, dass die nachfolgenden Generationen die Abartigkeit des nationalsozialistischen Systems als das entlarvt, was es tatsächlich und unbestreitbar war, eine grauenvolle, zynische und in jeder Hinsicht menschenverachtende und menschenvernichtende Ideologie. 
Unerträglich ist es, dass es wieder Menschen in unserem Land gibt, welche diese Ideologie verharmlosen oder ganz offenkundig verherrlichen. Lassen sie uns mit aller Kraft und allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen angehen.
Wir danken gerade auch deshalb den Schülerinnen und Schülern welche im Rahmen des P-Seminars im Franz Miltenberger Gymnasium den Anstoß für die Stolpersteinverlegungen in Bad Brückenau gaben sowie Herrn Hönerlage und dem Arbeitskreis Stolpersteine für die umfangreichen Recherchen und für die Möglichkeit, den beiden Opfern würdevoll und dauerhaft zu gedenken.
Therese Wittekind und Julie Nordschild kommen nach Schloss Römershag zurück, ihrem wohl letzten Ort, an dem sie Geborgenheit und Menschlichkeit erfahren durften.
Dem Initiator der Stolpersteine – Herrn Gunter Demnig- wollen wir mitteilen, dass wir sein Projekt so verstanden haben wie er es geschaffen hat. Als eine visuelle Erinnerung, die zum An/-Denken auffordert und dadurch allen die Möglichkeit bietet, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen und das wir aus der Ge-schichte (unserer Geschichte) lernen. 
Dies geht nur, wenn man nicht vergisst………und man vergisst nicht, wenn man sich erinnert…. Wir danken Herrn Demnig für die von Ihm geschaffene Möglichkeit ……gegen das Vergessen…. angehen zu können.

Roberto Ranelli

Stolpersteine-Verlegung

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